Warum tust du dir das an?

Warum wir uns quälen – und was uns der Mammutmarsch für den Alltag bringt

“100 Kilometer am Stück? Warum macht man sowas?” Diese Frage musstet ihr doch sicherlich auch schon mehr als einmal beantworten, oder? Mir zumindest wurde nach meinem ersten Hunderter  das ein oder andere verständnislose Kopfschütteln entgegengebracht. 

“Das könnte ich ja nicht.” oder “Du bist doch verrückt.” Na, kommen euch diese Sätze bekannt vor? Um ehrlich zu sein, habe ich mich anfangs gar nicht so richtig mit meinem “Warum” auseinandergesetzt. Eigentlich fand ich Wandern immer doof. Als ich mich angemeldet habe, ging es mir also gar nicht um das Wandern selbst. Ich war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Und die habe ich im Mammutmarsch gefunden. Und ja, mittlerweile habe ich das Wandern auch ein bisschen lieben gelernt. 

Dass mein Finish tatsächlich viel, viel, viel mehr für mich war, als ein kurzer stolzer Moment beim Überqueren der Ziellinie, habe ich erst im Nachhinein gemerkt. Um genau zu sein zwei Wochen später. Ich musste mich in der Uni einer mündlichen Prüfung unterziehen, die mir schon lange Bauchschmerzen bereitet hatte. Die Dozentin war unglaublich streng, das Thema lag mir nicht, und vor mündlichen Prüfungen habe ich mich schon immer gerne gedrückt.

Es mag übertrieben klingen, aber mein Finisher-Bändchen am Handgelenk hat mir geholfen! Immer, wenn mein Blick darauf fiel, dachte ich automatisch: “Du bist 100 Kilometer gelaufen. Dann schaffst du DAS HIER jetzt auch.” Und so war es dann auch. Seitdem habe ich mein Bändchen nicht mehr abgenommen. Dieses Jahr ist ein weiteres dazugekommen. Und noch immer löst der Blick auf mein Handgelenk ein Gefühl der Entschlossenheit in mir aus. Entschlossenheit, Mut, Stolz und irgendwie auch ein bisschen Trotz. 

Das war mein Warum. Diese Challenge geschafft zu haben, hat mir gezeigt: Mich hält jetzt nichts mehr so einfach auf. Aber ist es nur das? Dass es beim Mammutmarsch längst nicht nur um’s Wandern selbst geht, dürfte uns allen klar sein. Aber was genau zieht uns Menschen ins Extreme? 

Alles nur Chemie? 

Betrachten wir das Ganze doch erst einmal wissenschaftlich. Extreme Challenges können zu einer Art “Flow-Erlebnis” werden. Das bedeutet, dass wir uns in einem perfekten Gleichgewicht zwischen Herausforderung und dem eigenen Können befinden. Dann werden Glückshormone (körpereigene Endorphine) ausgeschüttet. Der Körper verbucht die Erfahrung deshalb als positiv. Kein Wunder, dass sich viele von uns (nachdem der erste Schock überwunden ist) also direkt für den nächsten Mammutmarsch anmelden. Wir wollen mehr von dieser euphorisierenden Wirkung, mehr “Thrill”. Höher, schneller, weiter. 

Aber: Nicht jeder Mensch ist gleichermaßen risikofreudig. Sportpsychologen würden uns Mammutmarschfans wohl als “Sensation Seeker” bezeichnen. Andere Menschen ziehen es hingegen vor, an bekannten Strukturen festzuhalten und neue Herausforderungen zu vermeiden. 

Wenn wir eine extreme Herausforderung annehmen, entwickeln wir auf dem Weg dorthin Fähigkeiten, die sich auch auf unser alltägliches Leben positiv auswirken können. Aber was für Fähigkeiten sind das? 

1. Du vs. Du: Die Kampfansage an den inneren Schweinehund 

Disziplin und Durchhaltevermögen: Wer einen Mammutmarsch bezwingen will, braucht beides! Oft wissen wir gar nicht, wie viel Biss wir wirklich haben, bis wir uns einer solchen Challenge stellen. Ich selbst weiß von mir, dass ich sehr kompetitiv bin und wahrscheinlich eher tot umfallen würde als aufzugeben (okay, ganz so drastisch ist es vielleicht nicht, aber ihr wisst, was ich meine). 

Meine Mutter hingegen hat immer gesagt: “Das ist doch wahnsinnig. Ich würde mich da nicht so quälen. Mehr als 30 Kilometer würden meine Knie gar nicht mitmachen.” Und auch bei meinem Vater hielt sich die Vorfreude in Grenzen, als ich ihm einen Gutschein für den Mammutmarsch seiner Wahl zu Weihnachten schenkte. Nunja. Vor zwei Wochen sind die beiden bei ihrem Mammutmarsch-Debüt in Dortmund 55 Kilometer gewandert. Als ich bei Kilometer 40 eine vorsichtige WhatsApp-Nachricht schrieb und fragte, wie es denn laufe, kam als Antwort: “Aufgeben ist keine Option!” Trotz Kälte, Regen und Blasen an den Füßen.

Das hat mir einmal mehr gezeigt: Unser Körper kann mehr, als unser Kopf glaubt. Und vielleicht sind all die Zweifel im Vorfeld auch nur eine Art Schutzmechanismus, um im Fall der Fälle nicht allzu enttäuscht von uns selbst zu sein. Auf jeden Fall kann uns eine extreme Herausforderung wie der Mammutmarsch dazu bringen, auch im Alltag einfach mal die Ar***backen zusammenzukneifen, wenn es unangenehm wird. 

“Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam jemand, der wusste das nicht und hat’s getan.”

2. Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt 

Wenn man eines vom Mammutmarsch mitnimmt (neben Medaille, Urkunde und unzähligen Blasen), dann ist es wohl eine ordentliche Portion Stolz. Klar: Wir haben uns ein Ziel gesetzt, dieses erreicht, und das steigert unser Selbstwertgefühl. 

Wie anfangs schon beschrieben, ist dieser Stolz und dieses Gefühl, jetzt alles schaffen zu können, mein persönliches Warum. Mich kann jetzt nichts mehr aufhalten. Zumindest fühlt es sich so an, und das ist schon eine Menge wert. Vielleicht geht es euch ja ähnlich? 

3. Sich klein fühlen ist ein großes Gefühl

Das mag erst einmal verwirrend klingen. Aber der Mammutmarsch kann uns Demut lehren. Demut vor der Herausforderung, der man sich anfangs kaum gewachsen fühlt, aber auch Demut vor der unbändigen Natur. Wir selbst sind klein, schutzlos, der dunkle Wald verschluckt uns. Wir sind auf unser Handy angewiesen, um die Route zu finden, und auf die Verpflegungspunkte, um uns zu stärken. Die Natur um uns herum ist wunderschön, aber eben auch enorm mächtig, verglichen mit uns selbst. Das lässt unsere alltäglichen Sorgen und Probleme auf einmal ganz klein und unwichtig erscheinen.  

„Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler.“

4. Du lernst dich ganz neu kennen 

Wie oft befinden wir uns in Extremsituationen? Im Normalfall wohl nur selten. Dementsprechend können wir kaum wissen, wie wir in solchen Situationen reagieren. Wie gehe ich mit mentalen und körperlichen Herausforderungen um? Wie mit Kontrollverlust? Welche Unsicherheiten und Ängste muss ich überwinden? Und welche meiner Stärken kann ich dazu einsetzen? An welchen Schwächen muss ich noch arbeiten? 

Auch wichtig: Manchmal scheitern wir. Das ist ganz normal und auch wichtig. Der Mammutmarsch kann uns in diesem Fall dabei helfen, eine Frusttoleranz zu entwickeln und besser mit Niederlagen umzugehen. 

Auch lernen wir, uns selbst und unseren Körper besser einschätzen zu können. Bin ich bloß müde und habe nur Blasen und schwere Beine, oder bin ich ernsthaft verletzt und sollte abbrechen? Ein Gefühl dafür zu bekommen, wann unser Körper an seine Grenzen kommt, kann uns nicht nur beim Wandern von Nutzen sein. Wer mit seinem Körper zusammenarbeitet, statt gegen ihn, wird auch im Alltag schneller gewisse “Warnsignale” erkennen und so Verletzungen und Krankheiten vorbeugen können. Außerdem lernen wir unseren Körper nicht nur besser kennen, sondern auch wertschätzen. Er tut so viel für uns. Egal, wie sehr ein Mammutmarsch auch Kopfsache ist – ohne unseren Körper würden wir nicht ins Ziel kommen, und dafür sollten wir ihm dankbar sein. 

5. Raus aus dem Alltagstrott 

Mammutmarsch bedeutet: den Alltagstrott durchbrechen und einfach mal etwas Neues zu wagen. Tschüss Mittelmaß, tschüss Routine! Vielleicht strebst du nach mehr und willst etwas Außergewöhnliches erleben. Viele werden dabei auch von einem gewissen Bedürfnis nach Autonomie geleitet: Sie sind rastlos, haben den Wunsch, aus dem normalen Leben auszubrechen und sich Erlebnisse selbst zu erarbeiten. 

“Wann hast du das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht?”

Extreme Herausforderungen können uns also dabei helfen, einen Ausgleich zu schaffen und uns gleichzeitig das Gefühl zurückgeben, dass wir unser Leben selbst in der Hand haben. Wir müssen einfach nur den ersten Schritt wagen. 

6. Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg 

Wer ein klares Ziel vor Augen hat, bereitet sich darauf vor. Das bedeutet konkret: Wenn du dich für den Mammutmarsch anmeldest, arbeitest du auf ein Ziel hin und bist wahrscheinlich auch motiviert, dafür zu trainieren. Ich kenne das von mir selbst: Wenn ich mich für ein Laufevent anmelde, freue ich mich richtig darauf und es fällt mir um einiges leichter, meine Laufschuhe zu schnüren und Zeit in die Vorbereitung zu stecken. 

Übrigens: Vielleicht hat man euch auch schon mal als “verrückt” oder sogar “leichtsinnig” bezeichnet. Sich auf eine extreme Herausforderung einzulassen bedeutet aber noch lange nicht, dass man leichtsinnig handelt oder nicht weiß, was man tut. 

Jeder von euch weiß wahrscheinlich, wie wichtig eine gezielte Vorbereitung (Training, Ausrüstung, etc.) ist und setzt sich dementsprechend intensiv mit der Thematik auseinander. Auch das ist eine wichtige Fähigkeit, die wir durch das Ultrawandern vertiefen können: nicht den Fokus zu verlieren – gar nicht so einfach zu Zeiten der kompletten Reizüberflutung. 

7. Du inspirierst andere! 

Wahrscheinlich gibt es für jeden von uns diese eine Person, die uns inspiriert. Vielleicht sind es sogar mehrere – für jeden Lebensbereich eine. Wisst ihr was? Sagt es dieser Person doch einfach mal! Womöglich weiß sie es nämlich gar nicht. Sie wird sich bestimmt freuen und ihre Motivation erst Recht in die Welt hinaustragen. 

Wäre es nicht toll, für andere Menschen auch diese Person zu sein? Andere dazu zu motivieren, an ihre Grenzen zu gehen und sich selbst neu kennenzulernen? 

“Sei stark. Du weißt nie, wen du gerade inspirierst.”

Was auch immer dein persönliches “WARUM” ist – wenn du das nächste Mal schief angeschaut wirst, hast du auf jeden Fall eine ganze Menge an DARUMS auf Lager! 💪

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2 Kommentare

  1. Super beschrieben.

    Wandern ist ja auch irgendwie wie das Leben….. wenn du durchhältst und immer weiter gehst bist du irgendwann glücklich, ohne zu wissen, wie du eigentlich da hin gekommen bist.

    Und dann denkst du…. klar, es war der Weg bis hier hin, es waren all die Schmerzen, aber dafür hat es sich gelohnt.

  2. Toll beschrieben. Hat man mir auch alles gesagt – ich wollte es einfach wissen und hab’s gemacht.
    Ein so erhabenes, zutiefst zufriedenes Gefühl, wenn man die Ziellinie überschreitet und weiß: du hast 100 km hinter dir gelassen.
    Die Höhen und Tiefen (oh man, nicht schon wieder eine Steigung), die eigenen Atemzüge in der Nacht hören, ansonsten nur Stille – da schöpft man Kraft, ist mit sich und der Welt im Reinen, zufrieden.
    Dann sind die Strapazen vergessen…Dafür lohnt es sich!

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