“Ich stehe wieder im Leben” – Wie der Mammutmarsch Jennifers Kraftgeber wurde 2022

Funktionieren und bloß keine Schwäche zeigen – Jennifer verdrängt, dass es in ihrem Inneren ganz anders aussieht, als sie nach außen hin zeigt. Doch dann beginnt die perfekte Fassade zu bröckeln. Alles kommt hoch. Vor allem nachts wird sie immer wieder von der Vergangenheit eingeholt. Die Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung.

Das ist die Geschichte einer Frau, die sich Wanderschuhe anzieht, losläuft, und ihre Stärke Schritt für Schritt durch das Ultrawandern zurückgewinnt. 

Jennifers Kindheit und Jugend sind geprägt von schmerzhaften Verlusten, Rückschlägen und Mobbing. Mehr Leid als ein einzelner Mensch ertragen sollte. Ihr Selbstwertgefühl ist gleich null. Was dann folgt, bricht die junge Frau endgültig: Sie wird vergewaltigt.

Jennifer befindet sich am absoluten Tiefpunkt, hadert mich sich und ihrer Identität.

„Ich habe mich selbst nicht mehr gespürt, wusste nicht mehr, wer ich eigentlich bin und was mich ausmacht.“ Sie beginnt eine Therapie, hat jedoch Schwierigkeiten, sich darauf einzulassen. 

Und dann erfährt sie vom Mammutmarsch. Zögerlich meldet sie sich für die 30 Kilometer beim „Little Ruhr“ an. Ohne große Erwartungen oder Zuversicht. Und doch wird dieser Tag zum absoluten Gamechanger. Jennifer kämpft sich durch und finisht. Ein unglaubliches Gefühl. „Ich selbst habe das geschafft. Aus meiner eigenen Kraft heraus. Etwas so Grandioses. Wenn ich jetzt an diesen Zieleinlauf zurückdenke, bekomme ich immer noch Gänsehaut.“

„Wildfremde Menschen glaubten an mich.“

Was aber noch viel mehr im Vordergrund steht, ist das Gemeinschaftsgefühl, das Jennifer durch die Mammut-Community zu spüren bekommt. „Da waren wildfremde Menschen, die mir Mut gemacht und an mich geglaubt haben. Ich habe mich auf einmal geborgen gefühlt. Das kannte ich nicht. Das waren ganz neue Eindrücke. Fast zu schön, um wahr zu sein. Berauschend irgendwie.“ 

Bei einem Mammutmarsch bleibt es nicht. Inzwischen findet man die Powerfrau auf so ziemlich jeder Veranstaltung… Jennifer hat das Wanderfieber gepackt. Mittlerweile hat sie sogar schon dreimal die Königsdistanz von 100 Kilometern gemeistert. Die Selbstzweifel, die früher ihr ständiger Begleiter waren, kommen zwischendurch zwar wieder zum Vorschein. Doch immer, wenn sie besonders laut werden, hilft ihr der Zuspruch der „Mammut-Herde“, wie sie die Community liebevoll getauft hat. Einige davon zählt sie mittlerweile zu ihren engsten Freunden. 

„Der Mammutmarsch war der Klick im Kopf, den ich brauchte“

Jennifer erster Mammutmarsch hat etwas ausgelöst, was sie selbst nur schwer in Worte fassen kann. „Der Moment des Zieleinlaufs hat sich angefühlt wie ein Rettungsanker. Da war etwas, was ich lange Zeit nicht mehr gespürt habe: Selbstwirksamkeit.“ 

Dass Wandern uns seelisch und körperlich stärken kann und ein wertvolles Ausgleichsventil ist, wurde sogar wissenschaftlich belegt. Wandern, das bedeutet Fortbewegung, Weiterentwicklung und sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Es ermöglicht einen Weitblick, der die Natur beinahe zum Therapieplatz werden lässt. 

Apropos Therapie: Jennifer nimmt weiterhin psychologische Hilfe in Anspruch. Ihr Therapeut nutzt eine Metapher, die von nun an Jennifers Mantra sein wird: „Er erklärte mir, er sei nur ein Navigationsgerät, meine Landkarte sozusagen. Den Weg müsse ich selber gehen. Und der Mammutmarsch war die Route in MEIN neues Leben, mein Energie- und Kraftgeber. Der Mammutmarsch war der Klick im Kopf, den ich brauchte!

Jennifer fasst neues Selbstvertrauen. Immer, wenn es mal (völlig normale) Rückschläge gibt, schaut sie sich die Zielfotos und Medaillen der Events an. Das Gefühl, das beim Gedanken an ihre Zieleinläufe hochkommt, helfen ihr dabei, neuen Mut, neue Energie zu fassen. Auch im Alltag, auf der Arbeit, eigentlich immer dann, wenn Schwierigkeiten auftreten, gelingt es ihr, auf diese wertvollen Erinnerungen zurückgreifen… und an sich zu glauben.

„Ich stehe wieder im Leben. Meine Vergangenheit existiert und lässt sich nicht mehr ändern. Sie ist ein Teil von mir, zieht mich aber nicht mehr runter. Ich weiß jetzt, wozu ich fähig bin. Grenzen bestehen nur in unseren Köpfen und ich weiß jetzt, wie ich sie aufbrechen kann.“ 

geschrieben von Brit Weirich

 

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