97 Kilometer – und dann ging nichts mehr

Heute haben wir eine ganz besondere Teilnehmergeschichte für euch, die zwar schon etwas zurückliegt, aber dadurch nicht weniger erzählenswert ist: 

Mammutmarsch Wien, 2019. Susanne befindet sich quasi schon auf der Zielgeraden, als ihr heftige Muskelkrämpfe einen Strich durch die Rechnung machen. Einige Kilometer schleppt sie sich noch weiter. Bei Kilometer 97 ist endgültig Schluss. Sie steigt aus. Aber lassen wir Susanne selbst erzählen! Sie hat uns einen Bericht zur Verfügung gestellt, den sie im Anschluss an ihre Erfahrung geschrieben und unter anderem auch auf Facebook veröffentlicht hat:

Wenn beim Laufen nichts mehr geht, dann geht Gehen immer noch. Wenn beim Gehen nichts mehr geht, dann hat man kaum eine Option.

 

Der Mammutmarsch 2019: Für mich als Läuferin völlig unbekannt, unter den Weitwanderern und Pilgern eine bekannte Größe. An dieser Stelle: Danke an Verena, ohne dich hätte ich bei diesem Wahnsinn niemals mitgemacht. Die Veranstaltung gibt es in ganz Deutschland und nun auch zum ersten Mal in Österreich. Die Expansion hat sich ausgezahlt. Mit 1100 Startplätzen war das Event restlos ausverkauft.

Der Start-Samstags um 15 Uhr erschien mir zu Beginn nicht gerade einladend, im Nachhinein muss ich aber sagen: So war es perfekt.  Mein 20 Liter-Rucksack wog 5 Kilogramm und war im Vergleich zu vielen meiner Mitwanderern eher einer von der kleinen Sorte. Die meisten hatten Rucksäcke mit einem Fassungsvermögen um die 30 bis 35 Liter. Aber auch 60 Liter und mehr waren keine Seltenheit. Der Wettergott meinte es gut mit uns. Beim Start in Tulln kam zwar ein bisschen Regen runter, dieser hörte aber bald auf.

Bis zur ersten Labe (Verpflegungspunkt bei KM 20 in Stockerau), ging die Menschenmasse wie aufgefädelt. Verena, Alex (eine Marschbekannte von Verena) und ich füllten unsere Rucksäcke, schossen schnell noch ein Foto mit dem Veranstalter Bob und weiter ging es. Langsam begann es zu dämmern. Das war so eine geniale Abendstimmung. Der Wind hörte auf und dadurch fühlte es sich gleich wärmer an.

Der nächste Stopp war die Labe 2 (KM 43 beim Donau Fritzi) – und das war weit mehr als ein einfacher Verpflegungspunkt. Er wurde von 19 Mitgliedern des Teams Sportordination betreut. Voller Vorfreude ging es weiter in Richtung Wien. Auch diese Labe hatte es in sich: Man konnte sie schon hören, bevor man sie überhaupt sah. Dort war die beste Stimmung überhaupt. Und das, obwohl für die meisten an dieser Stelle Schluss war. An dieser Stelle: Danke euch allen, es war so schön, euch zu sehen.

Die magische Stimmung bei Nacht

“Hast du Wien schon bei Nacht erlebt?” Mit diesem Lied ging es weiter. Nun kamen eine Menge Höhenmeter auf uns zu, Stufen über Stufen, rauf und runter. In der Nacht waren plötzlich alle gesprächig und man hielt zusammen, denn das Navigieren mit Karte und diversen Apps war gar nicht mal so einfach. Wenn das nicht das perfekte Geheimrezept gegen die Müdigkeit ist.

Um knapp 4 Uhr erreichten wir den dritten Verpflegungspunkt bei Kilometer 60. 400 Starter schafften es bis dorthin. Für 40 von uns war an dieser Stelle Schluss. An den Essensständen gab es Pulled Pork Burger, Ham & Eggs und weitere Leckereien. Ich entschied mich für Hühnersuppe und setze mich für fünf Minuten hin – zum allerersten Mal, seit ich losgelaufen war. Allerdings war das Wetter ganz schön ungemütlich und der starke Wind motivierte zum Aufstehen und Weitergehen. Nun ging es in Richtung Purkersdorf.

Ab diesem Zeitpunkt hatte ich Probleme mit dem Magen. Ich hatte einen großen Fehler gemacht, der sich jetzt rächte: Ich hatte Bananen gegessen, die ich beim Laufen nicht vertrage. Ich hatte angenommen, dass es beim Wandern keine Probleme geben würde. Falsch gedacht. 

Ich biss die Zähne zusammen. Weiter ging’s. Ab jetzt gab es mehr Schotter- und Waldwege und natürlich viele Höhenmeter zum Riederberg. Die Sonne ging auf und die Müdigkeit kam. Ich wollte einfach nur schlafen!

Der letzte Verpflegungspunkt bei Kilometer 83 befand sich auf einem Reiterhof. Ich wollte ich mich kurz setzen, um meine Uhr aufzuladen. Da bekam ich auf einmal einen Muskelkrampf im rechten Oberschenkel. Shit! Ich konnte den Krampf zwar lösen, aber der Muskel war ab diesem Zeitpunkt komplett zu und ich konnte das Bein kaum noch belasten. 

Alles nur Kopfsache?

Man sagt, der Kopf entscheidet – und der war definitiv motiviert. Aber das Bein wollte einfach nicht mehr. Meine Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen. Aufhören? Nein, ich will nicht aufgeben, dachte ich mir. Also humpelte ich mit Alex weiter. Ich machte winzige Trippelschritte, aber diese Art zu Gehen fühlte sich halbwegs okay an. 

Bei Kilometer 87 musste ich dann zur Toilette. Und zack, da kam der nächste Krampf (ich beneide euch Männer, ihr müsst euch zum Pinkeln nicht hinsetzen). Hier trennten sich Alex und meine Wege. Sie wanderte in ihrem Rhythmus und ich konnte sie noch bis zu meinem Ausstieg vor mir sehen. Das tat gut und gab mir Kraft. Die Gespräche mit anderen Teilnehmern waren grundsätzlich motivierend. Ich war wohl die einzige von der Minigruppe, die keine Blasen oder Sohlenbrand hatte. ALLE hatten Troubles, aber bisher suderte niemand. Bis jetzt… (Für alle Leser ohne österreichische Sprachkenntnisse: “sudern” steht für “jammern”, “nörgeln”.)

Das mit dem Sudern musste ich kurz darauf zurücknehmen: Bei Kilometer 92 ging ich ein Stück mit einem Teilnehmer, der regelrecht in Selbstmitleid ertrank. Das hat mich leider so viel Energie gekostet, dass ich nach circa 2 Kilometern beschloss, mir das nicht mehr antun zu wollen. Also legte ich an einer Bank eine Pause ein, um meine beiden Jacken auszuziehen. Und zack: Der Muskel im Oberschenkel machte wieder Zicken. Da war der nächste Krampf. 

Erleichterung und grenzenloser Support

5 Kilometer sind es noch geworden. Bei Kilometer 97 war endgültig Schluss. Dann holten mich Alexander, Mony und Matthias ab. War ich traurig, frustriert? Nein. Tatsächlich war es in diesem Moment so befreiend, dass sie mich erlösten und ich mich ins Auto setzen konnte. An dieser Stelle: Danke Schatz, dass du mit dem Auto so nah wie möglich gekommen bist. Danke Matthias, für die Stütze. Ohne dich wäre ich diesen gemeinen Trippelweg niemals heruntergekommen. Und danke Mony, dass du mein Bein ins Auto gehoben und mir die Schuhe ausgezogen hast. 

Ich bin wahnsinnig stolz auf diese 97 Kilometer. Das Event hat mir unglaublich gut gefallen. Mein Fazit: Die 100 Kilometer zu finishen, bleibt weiterhin ein Ziel. Und: 3 Kilometer können verdammt lang und unüberwindbar sein.

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